Übersetzung aus der Zeitschrift

Gente

Buenos Aires, 1. Juli 1971


Über den Meeren der Welt mit den Gesichtern der Frau

Wir hatten Besuch. Das Nuklearschiff "Otto Hahn" legt in Buenos Aires an und überraschte uns. Zwischen Energie, Nuklear, Radioaktivität und anderen Kräutern zeigte eine Gruppe von deutschen Mädchen, daß die Annahme, eine Frau an Bord bringe Unglück, nicht stimmt. Gute Laune, Kameradschaft und auch Liebe - das glückliche Schiff.

Ich nahm an, daß alle Häfen der Welt an einem feuchten, nebligen Wintermorgen* denselben Eindruck machen, ein bißchen Melancholie, etwas Heimweh. Große Schiffe, Lastschiffe, Passagierschiffe mit Champagner an Deck, Kriegsschiffe - Schiffe für jede Phantasie. Der Mensch träumt immer von fernen Ländern - merkwürdigerweise. Und so kommt es sicherlich, daß man, wenn die Notiz in der Zeitung erscheint, ein unbekanntes Schiff sei in den Hafen eingelaufen, wir alle die Leute an Bord beneiden, die Besatzung, die Seeleute. In extremen Fällen ziehen wir sogar ernsthaft in Betracht, uns der Marine anzuschließen oder ein paar Pesos zu sammeln, um wegzufahren nach ...

Aber was passiert, wenn wir lesen, daß ein Kernenergieschiff angekommen ist und zur Besatzung dreizehn Frauen gehören. Ein Reaktor, Atomenergie-Zeitalter - die Radioaktivität und die Furcht, ja, die Furcht.

Ein Nuklearschiff kann nicht jeden Hafen anlaufen, aus Sicherheitsgründen, wenn wir in Betracht ziehen, daß sich ein Kernreaktor an Bord der "Otto Hahn" befindet und dieser das Schiff lautlos über die Meere gleiten läßt. Wenn man die Vorteile aufzählt, die die Atomenergie bietet, dann ist alles schon recht!?

Aber wie ist es, wenn wir von den dreizehn Damen, die an Bord arbeiten, sprechen - Frage der Sicherheit ...

 
Die Frau des Kapitäns spricht ein perfektes Spanisch.

  • "Wir lebten in Martines, ich kam mit meinen Eltern nach dem Krieg hierhin; hier lernte ich Heinrich, meinen Mann, kennen." -
  • "Ihre Kinder, sind sie auch Argentinier?" -
  • "Ja, wir haben in Buenos Aires geheiratet, und dort sind auch die beiden Jungens geboren. Sie sind jetzt in Deutschland und studieren. Sie erinnern sich beinah an nichts mehr von Argentinien; sie waren sehr klein, als wir weggingen. Meine Eltern leben jetzt in Pilar und haben ein Kamp in Capitan Sarmiento. Sie sind sehr glücklich dort."

  • Man kann sie verwechseln mit einer eleganten Frau aus Buenos Aires, kastanienbraun, dunkle Augen, ein sorgfältiges Make-up mit einer speziellen Note im Aussehen, auch in der Kleidung.
  • "Reisen Sie immer mit Ihrem Mann?" -
  • "Manchmal, das erleichtert, mit einem Seemann verheiratet zu sein. Besonders diese Reise ist sehr lustig. Wir sind alle eine große Familie. Wir haben nur ein Minimum an Formalität und Förmlichkeit. Ich nehme an, dank der Anwesenheit der Mädchen." -

  • Sie bittet um eine Zigarette, und ich beobachte, daß sie sich in dieser Kabine wie in ihrem eigenen Haus fühlt.
  • "Können wir mit diesen Mädchen sprechen?" -
  • "Aber ja, sie werden sich freuen. Wir werden mit dem Zahlmeister sprechen und eine Zusammenkunft vereinbaren."

  •  
  • "Möchten Sie etwas trinken?" -

  • Der Zahlmeister der "Otto Hahn" trägt Minirock, weil Maxi unbequem ist, und heute ist es auch nicht so kalt, um Hosen zu tragen. Beinah schwarz - intelligent und klein - bewegt sie sich durch die Gänge wie ein Eichkätzchen. Sie bittet und organisiert, telefoniert, fragt um Getränke und empfängt den Zollinspektor, der gerade in ihr Büro kommt und sie ungläubig ansieht - während Frau Lehmann-Willenbrock mir erklärt:
  • "Die Zahlmeister an Bord haben vielseitige Aufgaben zu erfüllen - eine straffe Zusammenfassung von allem, was geschieht - es erfordert gute Nerven, Gedächtnis und Geduld. Monika ist ideal. Wir haben keine Probleme gehabt und das, soviel ich weiß, weil sie der beste Zahlmeister ist, den wir seit Jahren hatten." -
  • "Monika, wie ist es, ich möchte sagen, die Uniform, der Minirock und die Ladung?" -
  • "Ich habe als Stewardess in einem Hotel gearbeitet, ziemlich langweilig, niemals geschah etwas Neues, keine Erwartung. Ich habe mich in einen Kursus für Stewardessen an Bord eingeschrieben, und dann war ich auf einem Schiff." -
  • "Aber der Schritt von einer Stewardess zum Zahlmeister?" -
  • "Eines Tages wurde ich gefragt, ob ich es mir zutrauen würde, und ich sagte ja. Das war vor einem Jahr, und ich gedenke noch ein Jahr weiter zu machen." -
  • "Alter?" - "Ehestand?" -
  • "27 Jahre, Junggesellin." -

  • Zwischendurch Gespräche mit einer Blonden, die mit einem großen Tablett hereinkommt. Ein Witz wird erzählt, alle lachen. Die Frau des Kapitäns setzt sich auf den Tischrand und steckt sich eine Zigarette an.
     

  • "Und die Mädchen, warum sind sie auf dem Schiff?" Ist das Brauch in Deutschland?" -
  • "Die UdSSR begann weibliches Personal einzustellen, und nach und nach folgten andere Länder. Aber 13 Frauen an Bord sind ungewöhnlich (sie lacht). Wir sind 11 Stewardessen, eine Ober-Stewardess und ich. Das Betriebsklima ist perfekt. Wir haben keine Probleme, wie Alkohol, Streit oder andere Schwierigkeiten, die sonst an Bord üblich sind." -
  • "Wie reagieren die Männer an Bord?" -
  • "Sie sind begeistert, natürlich. Alle sind gute Kameraden. Sie rasieren sich, schneiden den Schnurrbart, benehmen sich ruhig und regen sich nicht über Kleinigkeiten auf, wie häufig üblich unter Männern." -
  • "Und Du, wie ist es mit dem Personal?" -
  • "Es gibt keine violenten Reaktionen, weil Frauen an Bord sind. Wir haben keine Probleme gehabt, ich möchte sagen, das Klima an Bord ist jovial, wir alle sind jung und fröhlich. Es bestehen keine Spannungen. Das ist auch diesem Schiff zu verdanken, die Mission von einem Nuklearschiff heut zu Tage, guter Wille und Werbung.

  • In jedem Hafen feiert man uns - man holt uns ab und bringt uns wieder... 
    Nebenbei, damit Sie sehen, wie die Kameradschaft hier ist:
    Vor einiger Zeit liefen wir einen Hafen an, und wie so oft lud man zu einem Cocktail ein, aber nur die Männer. Es war gesagt, daß keine Frauen mitgehen sollten. Spontan bedankten sich die Männer und erklärten, daß sie ohne Mädchen nirgendwo hingehen würden. Weil die Besatzung sagt, alle oder keiner - und wir sind alle gegangen." -
  • "Sind alle Stewardessen von Beruf?" -
  • "Der größte Teil. Einige sind Studenten, andere sind auf Fähren gefahren. Sie kommen, sie gehen." -

  • In den Gängen der "Otto Hahn" kreuzen sich täglich Miniröcke, Sandalen, Bärte, Lächeln, Spiele... eine große Familie.
    Haare im Bürstenschnitt, Augen, die alles sehen, kreuzt Hannelore auf, amüsiert sich.

  • "Seit drei Monaten bin ich Stewardess, es fiel mir ein, weil ich mich ziemlich langweilte in Deutschland, auch wenn meine Arbeit als Schaufensterdekorateurin interessant war - sie zeigte mir nicht die Welt, und diese wohl." -
  • "Wie alt bist Du?" -
  • "21 und ich bin Junggesellin... bis jetzt... " -

  • Es breitet sich eine Atmosphäre der Verschwörung aus, Kommentare, Witze, Lachen. Monika versteht, daß sie nichts versteht.
  • "Zwischen uns gibt es viele Paare. Hannelore geht mit dem Funker. Christel mit einem Matrosen." - und weiter geht die Liste...

  • Jetzt verstehe ich etwas weniger.
  • "Und das wird zugelassen von  den Offizieren? Haben sie keine Schwierigkeiten?" -
  • "Nein, keine Probleme. Brigitte ist die Braut vom zweiten Offizier. Es wurden schon Ehen geschmiedet. Leute, die sich an Bord kennengelernt haben und sich dann später verheirateten und im Hafen abgemustert sind." -
  • "Ah" -

  • Ursula Dierk ist Krankenschwester von Beruf im Meereshospital - weil die Welt groß und schön ist, und die Krankenhäuser haben viele Wände. Sie raucht unentwegt. Jacke und Hose weiß, Haare beinahe weiß, ein Gesicht, kantig und intelligent.

  • "Ich weiß noch nicht, wie lange ich bleiben werde. Mir gefällt es sehr, und für mich ist es etwas Luxus - muß man ausnutzen." -
  • "Kommen die Mädchen mit Problemen zu Dir? Ich möchte sagen, weibliche Probleme und solche Sachen?" -
  • "Bis jetzt noch nicht. Ich glaube auch nicht, daß es geschehen wird. Wir sind alle sehr jung, aber jede weiß, was sie zu tun hat." -

  • Respektvoll präsentiert sich Dr. Herholz, der Arzt, 72 Jahre alt, auf Ferienreise, wie er sagt. Er ist Lungenchirurg, und als man ihm die Reise vorschlug, nahm er sie ohne Zögern an.

  • "Nein, ich höre von keinen Problemen. In keiner Weise. Gut... manchmal Liebeskummer, aber den behandele ich, weil ich der Älteste bin, nicht weil ich Arzt bin." -

  • Monika meint, während der Reise wird es sicher noch Fragen der Liebe geben. 

  • "Wir haben noch 20 Tage auf See, es gibt Zeit für alles."

  • Viele der Frauen sind geschieden, der Rest ist unverheiratet. Die einzige Verheiratete ist die Frau vom Kapitän.
  • Und Sie? Wie sind Ihre Beziehungen?" -
  • "So, als ob wir bei einer anderen Arbeit oder an einem anderen Ort sind. Wir suchen Filme für den Abend aus. Organisieren kleine Feste. Als wir den Äquator überquerten, haben wir uns amüsiert wie die Irren... " -

  • Und zwischen der Gruppe ist ein blonder Schopf zu entdecken, ein Lächeln. Ein anderes Wesen, das die "Otto Hahn" in unsere Stadt gebracht hat: ein Engel. Ich schwöre, es ist ein Engel. Beinahe durchsichtig, mit aller Weisheit und Unschuld der Welt in den Augen und ein Lächeln. Ja, sie hat schöne Beine, wie handgemacht, unverheiratet, 20 Jahre, Studentin, und es ist ihr erster Flug (verzeihen Sie, es handelt sich um einen Engel, - sicher).

  • "Bist Du die Jüngste? (Aber diese Dinge kann man nicht einer Frau sagen, die so schön ist, wenn sie umgeben ist von Frauen, die in keiner Weise häßlich sind... Dinge zwischen Frauen). Beschützen sie Dich?" -
  • "Nein, aber sie lassen mich nicht aus den Augen, nehme ich an." -
  • "Ja, sicher -"

  • Die Engel kann man nicht frei lassen, hier zwischen Reaktoren, Atomen und anderen Gefahren.

    Wenn einer mich fragt, was zu machen sei, dieses Wochenende - ich wünschte, ich könnte ohne Erklärung sagen - gehe zu "Otto Hahn" - 
    Gehe, es ist interessant. Es ist der Mühe wert.
     

     
    Allen holden weiblichen Wesen der Buenos-Aires-Reise 1971 gewidmet,
    besonders aber unserem blonden Engelchen, das noch jung an Jahren in eine andere Welt entflogen ist.
    Ihr ewig frohes Lächeln hat sie in unseren Herzen zurückgelassen.

    P.

     
    Zu den Links N/S Otto Hahn

     
    *) Es war just zur südlichen Winterszeit, Juli 1971.